Das Michelin, das Conti, das Die

Das Die dominiert ganz offenbar den Sprachgebrauch (auch) im Reifenmarkt, aber warum eigentlich? (Bilder: NRZ/Arno Borchers)

Als ordentliches Medienprodukt verspüren wir auch einen gewissen sprachlichen Bildungsauftrag jenseits des rein Fachlichen, zu dem die NEUE REIFENZEITUNG jeden Monat aufs Neue zahllose Seiten mit Wissenswertem zu füllen weiß. So versuchen wir nicht nur in Print und auch online Beiträge zu veröffentlichen, über die selbst Konrad Duden wohlwollend nicken würde, die also ohne nennenswerte Fehler in Grammatik, Zeichensetzung und Rechtschreibung auskommen. Mitunter kommt man dabei aber selbst nach Jahren im Mediengeschäft noch ins Schlingern.

Button NRZ Dieser Beitrag ist außerdem als Editorial in der Juli-Ausgabe der NEUE REIFENZEITUNG erschienen, die hier als E-Paper erhältlich ist. Sie sind noch kein Leser? Kein Problem. Das können Sie hier ändern.

So tauchte neulich bei uns in der Redaktion nämlich die Frage auf, warum viele Menschen im Markt dem Namen eines Herstellers üblicherweise noch einen Artikel voranstellen, und zwar den weiblichen: die Michelin, die Conti. Und trotz der bei uns im Verlag versammelten Jahrzehnte an Sprachexpertise fiel uns dazu nichts ein, das zu überzeugen wusste. Aber man ist ja nicht (ganz) dumm und tut das, was die berufliche Neugierde in solchen Fällen eben vorsieht: man fängt an zu recherchieren.

Und man glaubt es nicht, das Internet bzw. die üblichen Verdächtigen unter den KI-gesteuerten Chatbots kennen die Antwort. Zunächst einmal muss man sich allerdings wundern, denn entgegen deutscher Tradition und dem Bemühen des bereits erwähnten Herrn Duden gibt es offenbar keine spezifische Regel, nach der hier der Artikel „die“ zu setzen ist. Angesichts des offensichtlich noch nicht erkannten Regelungsbedarfs möchte man da doch sofort eine Eingabe an den Rat für deutsche Rechtschreibung senden. Anstelle einer Regel haben wir hier also nur eine umgangssprachliche Gewohnheit vor uns, die – so erfährt man – nicht nur bei Reifenherstellern zu beobachten sein soll.

Aber wenigstens gibt es wohl eine allgemein anerkannte Basis, auf der diese Gewohnheit aufbaut. Nämlich dass der weibliche Artikel vor Unternehmensnamen wie ein Apostroph zu verstehen ist, also ein Auslassungszeichen für die Begriffe Firma oder Gesellschaft, die natürlich beide weiblich sind, lässt die KI wissen. Was man also eigentlich sagen will, ist die Firma Michelin oder die Gesellschaft Continental.

Es gibt dazu aber noch einen zweiten dialektalen (Achtung: nicht dialektisch) Erzählstrang. Danach nutzen Menschen in Süddeutschland, der Schweiz und Österreich vor Personennamen ebenfalls regelmäßig den Artikel. In Stuttgart oder München kommen am Wochenende also nicht Petra und Peter zu Besuch, sondern die Petra und der Peter. Experten beschreiben diesen Sprachgebrauch als typische Eigenheit des Dialektes und der Umgangssprache, während wir bei uns im Verlag im hohen Norden Deutschlands darin eher eine Eigenartigkeit erkennen mögen, die uns kaum über die Lippen käme.

Aber auch für solche Eigenheiten gibt es Gründe. Der Artikel vor Vornamen ist demnach nicht nur Teil des Dialektes, sondern er dient – etwas gehaltvoller jetzt – der Abgrenzung, Differenzierung und Individualisierung von Personen. Es kommen also nicht irgendeine Petra und irgendein Peter zu Besuch … Noch besser: Der Artikel vor dem Vornamen soll Vertraulichkeit und Nähe suggerieren, lernt man; fast so, als könnte man mit Petra und Peter ohne Artikel nicht befreundet sein.

Jetzt wissen wir’s etwas genauer, warum unser aller Sprachgebrauch bestimmt wird von dem kleinen Wörtchen „die“. Wie man sich aber in unserer Branche das besagte Auslassungszeichen verdient, gilt die die-Regel doch längst nicht für alle Unternehmen, bleibt weiterhin ungeklärt – oder haben Sie schon einmal über „die Reifen Göggel“ et alii gesprochen. Aber wenigstens ist man dankbar, dass in der eigentlich ja unüblichen Verkürzung deutscher Sprache nicht das Wort Unternehmen ausgelassen wird und man im Markt von das Michelin oder das Conti spricht.

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