Der Kunde macht, was er will – Oder: das Reizwort „Ganzjahresreifen“
Erinnern Sie sich noch? Es ist noch gar nicht so viele Jahre her, da war „Ganzjahresreifen“ ein Reizwort, das selbst den schwerfälligsten Reifenhändler auf die Palme bringen konnte. Kampagnen wurden gestartet, Krisensitzungen abgehalten, Verkäufer mit mutmaßlich überzeugenden Argumenten gegen die vermeintlichen Alleskönner geimpft. Selbst wir mussten uns mitunter allein für die Berichterstattung über neue Produkte für den ganzjährigen Einsatz erklären, stand man doch umgehend im Verdacht, dem Reifenhandel damit die Umsatz- und vor allem die Ertragsgrundlage zu entziehen oder zumindest Beihilfe dazu zu leisten.
Dieser Beitrag ist außerdem in der August-Ausgabe der NEUE REIFENZEITUNG als Editorial erschienen, die hier als E-Paper erhältlich ist. Sie sind noch kein Leser? Kein Problem. Das können Sie hier ändern.
Und erinnern Sie sich auch daran, was all dies gebracht hat? Nahezu nichts, wie man heute rückblickend festhalten muss. Gut, wir wissen nicht, wann Ganzjahresreifen ein Drittel des deutschen Ersatzmarktes übernommen hätten, was den Prognosen zufolge in diesem Jahr geschehen soll, hätten viele Marktteilnehmer nicht gegen das Produktsegment aufbegehrt und – auch das wissen wir mittlerweile – nur einen Verzögerungskampf geführt. Vielleicht wäre dies 2024 gewesen, vielleicht vor fünf Jahren. Aber klar ist wohl, der Zeitpunkt wäre früher oder später gekommen.
Sollte man daraus etwas lernen? Natürlich! Und zwar, dass Verbraucher eben überaus schwer zu überzeugen sind, selbst mit den besten Argumenten nicht. Das alles kostet Kraft, das frustriert, lähmt und schafft Distanz, die auch der Kunde spürt, der schließlich meint, er wisse es doch besser, und der Kollege hinterm Tresen hat mit dieser „unsinnigen Achtfachbereifung“ für Flachlandtiroler und Mittelstreckenfahrer doch eh nur sein Eigeninteresse im Sinn. Dasselbe Phänomen sehen wir übrigens auch bei runderneuerten Reifen, die – trotz all ihrer hinlänglich belegten ökologischen und auch ökonomischen Vorteile – immer wieder das Nachsehen haben gegenüber Neureifen. Der Kunde macht, was er will, und nicht das, was der Reifenhändler will.
Nun hat die Auseinandersetzung zwischen Ganzjahresreifengegnern und -befürwortern in den vergangenen Jahren natürlich etwas an Spannung verloren, trägt das Argument der „Kompromisslösung“ irgendwo zwischen Sommer- und Winterreifen, die eigentlich zu keiner Jahreszeit richtig passt, mittlerweile nur noch begrenzt. Ganzjahresreifen als vergleichsweise junge Produktgattung haben qualitativ bekanntlich dermaßen aufgeholt in den vergangenen zehn Jahren, dass es selbst dem argumentationsstärksten und sachkundigsten Reifenhändler schwerfällt, dem Verbraucher die Vorteile von saisonalen Spezialisten gegenüber Einer-für-alles-Reifen darzulegen.
Will der Kunde also partout nicht verstehen, hat man die Wahl: den Kunden zum Teufel jagen und auf bessere warten oder ihn dermaßen mangelbehaftet, wie er nun mal ist, akzeptieren – und ihm das verkaufen, was er sich wünscht. Wenn Sie Ihren Job mit missionarischem Eifer betreiben, dann sind Sie bestimmt mit Option eins unterwegs und hoffen auf eine bessere, verständigere Welt, sind Sie eher der ökonomische Eiferer und am wirtschaftlichen Fortbestand Ihres Unternehmens interessiert, ist Option zwei vermutlich die Ihrige. Ist der Kunde glücklich, hat der Händler doch schon mal einiges gewonnen.
Vor Jahren schon habe ich von unserem 2021 verstorbenen Verlagsgründer Klaus Haddenbrock Folgendes gelernt (an das er sich freilich selbst nicht immer hielt): Wenn uns einer zum Krieg bittet, schön, ich gehe nicht hin, ich kümmere mich lieber ums Geschäft!
Die Ganzjahresreifen haben leider bei vielen Kunden das Problem, dass sie im Winter eine zu geringe Profiltiefe haben.
Dabei haben auch Winterreifen genau diese Profiltiefe irgendwann im Winter und das sogar noch länger, weil sie möglicherweise ja auch älter werden, da nur in der Saison gefahren.
Das Argument zieht im wahrsten Sinne des Wortes nicht.
Das Bessere ist der Feind des Guten